Hundstraurig schöne Balladen, herzzerreissende Liebeslieder und
abrupte Eruptionen der Heiterkeit.
Sie haben uns schon so viele unvergessliche Stunden bereitet. Nach ihrem Erfolgsalbum «Plein du Monde», auf dem Künstlerfreunde wie Khaled, Lhasa, Olivia Ruiz und Charles Aznavour zusammen mit der «ältesten Boy-Group Frankreichs» ihre eigene Versionen von Bratsch-Songs einspielten, kehrte die Band mit dem aktuellen Programm «Urban Bratsch» und dem inzwischen vollendeten, traumhaft schönen gleichnamige Album (world village/Harmonia Mundi) nun in die Intimität ihrer «imaginären Folklore» zurück. Bratsch spielt jedes neue Programm ein Jahr live, bevor daraus eine CD entsteht. Das antizyklische Verhalten hat sich in der 36-jährigen Bandgeschichte mehr als bewährt. Wer sonst, als unsere grossen Weltmusikusse versteht es derart meisterhaft, Stimmungen zu erzeugen, mit einer gewissermassen «zurückhaltenden Virtuosität» zu performen und euch träumen zu lassen von der Möglichkeit einer besseren Welt.
«Urban Bratsch» live, das sind vielschichtige Welt- und Zeitreisen durch alle möglichen und unmöglichen Städte und Vorstädte unseres ächzenden und eiernden Planeten. Hundstraurig schöne Balladen, herzzerreissende Liebeslieder und abrupte Eruptionen der Heiterkeit. Städte haben Namen, Gesichter, Gerüche, Farben, Lichter, Orte und Unorte. Die schwarze Stadt. Die Stadt der sieben Hügel. Die goldene Stadt. Die Stadt der tausend Glocken. Die blaue Stadt. Die blau-weisse Zwinglizwingzwangstadt. Die weisse Stadt. Pink City. Städte haben typische Musiken, Sprachen, Codes, Traditionen: Rembetiko, Fado, Tango, Gipsy, Balkan, Klezmer, Chanson, Musette, Cancan, Gospel, Blues, Jazz, Promenadenmischungen, Improvisation. Traumstädte: Odessa, Thessaloniki, Marseille, Paris, Budapest, Berlin, Lissabon, Barcelona, Utopia undundund. Pulsierend. Stadtluft macht frei, auch versmogte. «...besonders den Vorstädten, den eigentlichen Herzen aller Städte, und den ‚imaginary suburbs’‚ den ‚Vorstädten unserer Vorstellung’, widmen wir unser neues Programm; den Hafenvierteln, den Flüssen (oh, du sackheilige, schönblaue Mississihl!), die unerfüllte Träume zu- und wegtragen, den kleinen Strassen, auf denen vielleicht der ‚Django von morgen’ klampft.»
Grenzüberschreitende Musik, die ihre Wurzeln, ihre Heimat nie aus den Ohren verliert. Gustav Mahlers «Tradition ist Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche» trifft exakts auf Bratschs Musik zu. Sie hauchen allem Leben ein, was sie anspielen. Alt wird neu, neu wird alt, das Jetzt wird Hier, das Hier driftet durch alle Zeiten in Ewigkeit Amen. Dazu passt auch der neue Bassist Théo Girard, Sohn des Bratsch-Paganinis Bruno (frz. Brüno) Girard, der als Jungspund für frischen Wind sorgt. Weiter dabei sind die Altmeister: François Castiello, Nano Peylet und Dan Gharibian.
Mit «Urban Bratsch» geht der atemberaubende Trip weiter. Weiter bis zur Zwischenlandung auf unserer imaginären Schatzinsel. Und wer jetzt schon weiss, dass er statt der immateriellen Souvenirs dieses betörenden Weltenbummels lieber die Errungenschaften der Altersheim-Werbetouren im Cocon seiner Home Sweet Home’s bestaunt, der darf ruhig vor seiner miesbildigen Flachbildkiste verblöden. Wir allerletzten Insulaner – mit oder ohne Velohelm und/oder VIP-Exklusivrecht zur Benützung des Dandy Cycles-Veloständers – wissen nämlich ganz genau, dass eine bessere Welt möglich ist. Unsere legendären Weltbedeutungsplanken und die Global-Urban-Balkan-Blues-Brothers sind wesentliche und wunderwirkende Teile davon.
Wir raten euch, euer Ticket rechtzeitig zu sichern. Der Countdown an unsrem lokalen Tresen läuft und zwar einiges reibungsloser als bei NASA und Roskosmos zusammen. Diese bemannte Weltraum-Zeit-&Städtereise kommt euch einiges günstiger als diejenigen der Firma Space Adventures. 10 - 9 - 8 - 7 - 6 - 5 - ... (Usain Bolts von heute oder morgen werden nicht disqualifiziert!) Sollte euch diese Weltklasse-Weltmusik bar jeder Herzensvernunft missfallen und ihr läuft in den ersten 30 Minuten raus, bekommt ihr euer Geld an der Abendkasse zurück! Also, seid doch nicht blöd: Chopf ufe u seggle jetzt, hier gibt’s nur Gewinner. Garantido.
Nie wieder Einfalt
Von Wiglaf Droste über Bratsch in der «jungen welt»
In der klassischen Musik ist ein Bratscher, was ein Schlagzeuger in der
Rockmusik ist: ein Typ, der mit Musikern rumhängt. Bratscherwitze gibt es in
rauhen Mengen, Bratschisten werden als beschränkt, langsam, faul und dösig
verspottet – vor allem von Violinisten, die das feinere, edlere Instrument
spielen und den Ruf pflegen, Virtuosen zu sein. Das ist zwar nur Musikertratsch, Klatsch und Quatsch, wird aber hartnäckig kultiviert; es könnte damit zu tun haben, dass die Bratsche traditionell von fahrendem Volk gespielt wurde, von wandernden Musikern, die abschätzig als «Komm, Zigan, spiel!»-Leute betrachtet wurden.
Ob es den fünf französischen Musikern, die 1976 die Band Bratsch ins Leben
riefen, um eine Rehabilitierung der Bratsche oder um einen Scherz unter
Musikern ging, ist nicht bekannt; einer der Gründer, Bruno Girard, spielt
jedenfalls Violine. Bratsch spielten schon sogenannte Weltmusik, bevor es
das mangel- und zweifelhafte Wort Weltmusik überhaupt gab; in den 35 Jahren
ihres Bestehens hat die Band ihre Mischung aus Zigeunerswing, Klezmer,
Rembetiko und frei improvisiertem Jazz ständig um neue Einflüsse bereichert
und, wie es sich für musikalisch Reisende gehört, ihren Horizont erweitert.
Bratsch hält die Tradition der wandernden Musiker am Leben; man trägt seine
Musik in fremde Länder und Städte und bringt von dort neue Stile und
Inspirationen mit. Bratsch fährt dem Publikum in die Tanzbeine oder nimmt es
auf Traumausflüge mit, und was die Band auch spielt, immer überzeugt sie
durch musikalische Könnerschaft. Die Jungs haben es einfach drauf.
Und sie haben etwas geschafft, das nicht vielen gelingt: Wenn ausgerechnet
eine Band, die nach dem Musikerlieblingsspottinstrument Bratsche benannt
ist, andere Musiker vor Begeisterung neidisch werden lässt, dann hat das
Leben über Einfalt und Dünkel gesiegt.